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Journalismus: Konzerne kapern Deutschlands Medien

Die mehr oder minder verdeckte Einflussnahme auf die journalistische Unparteilichkeit ist keine Besonderheit der Pharmaindustrie. Wer seit der Finanzkrise 2008 genau hinsah, musste erkennen: Viele Artikel sind gesponsert, „powered by“ oder einfach ganz offen von Unternehmen bezahlt. Der Grund ist nur unschwer auszumachen: Weil die Anzeigen im Printbereich einbrachen, suchten nicht wenige Blattmacher nach Alternativen. Lesen Sie dazu einen exklusiven Buchauszug aus dem bei Carl Hanser erschienenen Werk "Die Viren-Lüge. Wir die Pharmaindustrie mit unseren Ängsten Milliarden verdient".


von Marita Vollborn und Vlad Georgescu



[...] Auf welche Weise die Pharmaindustrie auch die Medien zu beeinflussen versucht, erfuhren wir im März 2011 durch eine Einladung an die Adresse des von uns geleiteten Webzines LifeGen.de. Ausgerechnet der Dengue-Vakzinspezialist Sanofi-Aventis ließ Medienvertreter zu einem Seminar bitten, die Veranstaltung kam als Fortbildung daher. So erfuhren wir – wie Hunderte andere Kolleginnen und Kollegen auch –, um was es ging:


„Im Rahmen der HEUREKA-Initiative für junge Wissenschaftsjournalisten veranstaltet Sanofi-Aventis gemeinsam mit dem Bachelor-Studiengang Wissenschaftsjournalismus der Hochschule Darmstadt am Freitag, den 15. April 2011, das Seminar ‘Klinische Studien und Wissenschaftsjournalismus: Forschungsergebnisse verstehen, interpretieren und werten’.“


Zugegeben: eine mehr als skurrile Kombination. Während unseres eigenen Studiums der Journalistik und Kommunikationswissenschaften galt die Verflechtung zwischen Medien und Konzernen noch als Tabu. Magazine und Zeitungen verfügten damals über eine klare Trennung zwischen Redaktion und Anzeigenleitung, ein Prinzip, das mit der Zeit immer mehr verwässerte. Heute sind vor allem Pharmakonzerne wie Sanofi-Aventis als Gestalter der News mit dabei. Sie suggerieren eine journalistische Neutralität, die es nicht geben kann. Während seriöse Fachpublikationen wie Science oder Nature auf Interessenkonflikte ihrer Autoren hinweisen, scheinen deutsche Universitäten mittlerweile keine Berührungsängste mit Big Pharma mehr zu haben. Dass der Pharmagigant Sanofi-Aventis unverblümt als Veranstalter des „HEUREKA-Seminar in Kooperation mit dem Bachelor-Studiengang Wissenschaftsjournalismus der Hochschule Darmstadt“ auftritt, ist ein Affront an die Adresse der über Jahrzehnte hinweg gepflegten Unabhängigkeit der Presse.


Wie sehr dabei die Grenzen zwischen Firmen-PR und Journalismus verschwimmen, belegte unfreiwillig das Nachrichtenmagazin FOCUS in der Ausgabe vom 22. März 2010. „Steckdose statt Zapfsäule“ hieß eine Sonderbeilage, die weder als Anzeige noch als Kundenzeitschrift deklariert war. Das „Gemeinschafts-Spezial von FOCUS und Evonik“ outete sich bei näherem Hinsehen als PR-Coup des einst als Degussa bekannten Chemieriesen. „Aus der sächsischen Provinz starten der Essener Industriekonzern Evonik und die Daimler AG gemeinsam in das Wettrennen um das Auto der Zukunft“, heißt es etwa auf Seite 15 des FOCUS-Spezial – unabhängiger Wissenschaftsjournalismus sieht anders aus.


Davon, dass die Medienoffensiven der Industrie bei Journalisten offene Türen einrennen, ist auch der Pharmahersteller Bayer HealthCare überzeugt. So heißt es in einem Rundschreiben der Abteilung für Corporate Communications an Deutschlands Medienvertreter:


„Drei Dinge reichen aus, um Redakteure von einem guten Artikel zu überzeugen: ein passender Titel, ein spannender Anleser und eine ansprechende Illustration. Wenn diese Elemente gut aufeinander abgestimmt sind, wecken sie Aufmerksamkeit und begeistern den Leser für das Thema.“


Als ob Journalisten minderbemittelte Schreiberlinge ohne Sinn für Themen und Hintergrundstorys wären, bietet das Unternehmen Nachhilfe an und geriert sich als liebenswerter Dienstleister:


„Mit der Frage, wie Sie eine Story mit den richtigen journalistischen Mitteln aufbereiten, beschäftigt sich Peter Linden in unserem diesjährigen viva.vita Redaktionsworkshop. Unsere nächste Station ist Leipzig. Journalisten, die daran teilnehmen möchten, sollten sich mit dem beiliegenden Antwortfax schnell anmelden. Es sind nur noch wenige Plätze frei!“


Was Bayer HealthCare zu erwähnen vergaß: Unliebsame Medien, die beispielsweise über Medikamente des Konzerns berichten, die im Verdacht stehen, lebensbedrohliche Nebenwirkungen hervorzurufen, konfrontiert Bayer gerne mit Klagedrohungen – wie wir selbst im Fall unserer kritischen Meldung über Yasmin® erfahren durften. Wir wären wie gesagt gerne vor Gericht auf die entsprechenden Medikamente ausführlich eingegangen. Doch Bayer zog die Klagedrohung zurück.


Darauf, dass die Medien in Deutschland beeinflussbar sind, deuten weitere Entwicklungen hin: Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit haben die Konzerne BASF, Siemens und RWE einen direkten Einfluss auf den journalistischen Nachwuchs in Deutschland etabliert: Im Rahmen der „Initiative Wissenschaftsjournalismus“ tragen sie zur Ausbildung und Fortbildung von Medienvertretern bei. „Mit dem Mentoringprogramm 2010 wollen die Partner jungen Wissenschaftlern den qualifizierten Einstieg in den Journalismus erleichtern“, heißt es dazu von der beteiligten TU Dortmund, und: „In neun Monaten absolvieren die Teilnehmer ein journalistisches Intensivtraining, zwei redaktionelle Praktika bei hochrangigen Medien sowie eine ‘freie’ Recherchephase.“ Die unter Beteiligung der BASF laufende Aktion involviert praktisch nahezu alle führenden Medien Deutschlands. Nur die Spiegel-Gruppe ist nicht dabei, während selbst die Deutsche Presseagentur (dpa) de facto unter Konsortialflagge der BASF die begehrten Praktika anbietet. Auch Bayer bildet in Zusammenarbeit mit Leitmedien Journalisten aus – auf Seminaren in der Medienstadt Hamburg. So heißt es in der Selbstdarstellung des Projekts:


„Die Praktika werden von folgenden Wissenschaftsredaktionen angeboten: Deutschlandfunk, dpa, Focus, FAZ/FAS, Frankfurter Rundschau, GEO, Hessischer Rundfunk, NZZ, PM, Sächsische Zeitung, Spektrum der Wissenschaft, spektrumdirekt, Stern, Stuttgarter Zeitung, Süddeutsche Zeitung, SWR, VDI nachrichten, WELT, WDR, ZDF und ZEIT. Wahlweise ist auch eine Spezialisierung auf den Bereich Wissenschaftskommunikation durch Praktika bei Fraunhofer und Max-Planck-Gesellschaft sowie RWE und Siemens möglich.“


Die Aus- und Fortbildung der Journalisten wird zudem durch finanzielle Anreize begleitet. So stellt das ominöse Konsortium „Recherchestipendien“ in Höhe von 10000 Euro zur Verfügung. Einen Interessenkonflikt zwischen den beteiligten Großkonzernen und der freien Presse sehen die Beteiligten nicht.


Auszug mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlags, 2011

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