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REPORT: Iraks heimliche Lieferanten

Die Eskalation in Nahost hat die Führer der westlichen Welt auf dem G8-Gipfel in St. Petersburg dazu bewogen, unter anderem die Einstellung der Raketen-Angriffe auf Israel zu fordern. Ein Blick in die Vergangenheit aber zeigt: Am Bau von Waffen für Nahost verdient der Westen prächtig mit, jeder Konflikt füllt die Kassen der Konzerne in Europa und den USA. Aus aktuellem Anlass bringen wir einen Artikel, der bereits im September 2002 bei LifeGen.de erschien – und der nach wie vor in die heutige Zeit passt: Das Know how für den Bau seiner Anlagen und die Etablierung seines Biowaffenprogramms entnahm der Irak vorwiegend aus dem Westen. Universitäre Kooperationen, Firmentransaktionen und der ganz normale und legale Einkauf von Material machten Saddams Arsenale erst möglich. Als besonderes Problem erweist sich das “duale Prinzip” – nahezu jeder Deal lässt sich auch zivil begründen.


Der neunjährige, glatzköpfige Junge aus dem Bagdader Al Mansour Kinder-Krankenhaus blickt in die Kamera des britischen Fotografen. Mit erwachsenen, ernsten Augen, und mit zum Victory Zeichen gespreizten Fingern scheint der kleine Leukämiepatient Ali Asyian die Welt der Großen anzuklagen.

Seit sechs Monaten verwehrt die UNO dem Bagdader Kinderkrankenhaus den Bezug radioaktiven Materials, ohne das weder eine vernünftige Diagnose bei Krebspatienten, noch deren Behandlung möglich ist, wie Ali’s Kinderarzt Luay Qusha gegenüber dem britischen „Economist“ beklagt. Als Grund gibt die UN den möglichen Missbrauch durch den Irak an: Mit dem Material lassen sich nicht nur Krebspatienten therapieren, sondern auch sogenannte „schmutzige Atombomben“ bauen – ein klassisches Beispiel für die „duale Nutzung“ ein und desselben Materials im zivilen und militärischen Bereich. Nach dem 11. September 2002 ist nahezu alles, was sich auch für den Bau von Waffen einsetzen ließe, für den Irak tabu – selbst dann, wenn es sich wie in Ali’s Fall um Pharmagüter und Medizinprodukte handelt.

USA lieferten die Todes-Erreger

Derlei Vorsicht war nicht immer des Westens Strategie. Im Gegenteil. Die nach wie vor prall gefüllten biologischen und chemischen Waffenarsenale des Irak entstanden erst mit Hilfe jener, die jetzt auf Kontrollen und Exportverbote um jeden Preis pochen. Dabei lieferten Amerikaner und vor allem Deutsche über Jahrzehnte hinweg alles, was sich am Tigris versilbern ließ: Know how, Technik und Erreger. Saddam Hussein und sein Regime, verdeutlicht der Blick in die Vergangenheit, waren beliebte Partner.

Bereits 1985 verließen 17 Schiffsladungen mit diversen Bakterienstämmen der American Type Culture Collection (ATCC) die USA – mit Segen des US Handelsministeriums. Empfänger der gefährlichen Fracht war anfänglich die irakische Atom Energie Kommission. Im gleichen Jahr verschickte auch die oberste US Seuchenbekämpfungsbehörde Centers of Disease Control and Prevention (CDC) eine Ampulle mit West Nile Viren an irakische Wissenschaftler. Zu den weiteren, von der CDC nach Bagdad gelieferten Erregern gehörten Anthrax-Stämme und das Pathogen Clostridium botulinum, dessen Giftstoff Botulintoxin zu den stärksten der Welt zählt.

Die Zahl der Lieferungen aus den Laboren des CDC erhöhte sich bis 1989 auf über 80, mit dabei waren Pesterreger, Auslöserkeime des Dengue-Fiebers und die Pathogene E. coli, Salmonella cholerasuis, Brucella meliteusis, sowie Clostidium perfringens. Weitere 70 Lieferungen führte das ATCC aus, und im Jahr 1989 gingen schließlich viele der bestellten Erreger ohne Umwege direkt nach Salman Pak, eine der drei Topp-Anlagen für den Bau biologischer und chemischer Waffen im Irak.

Im Wettlauf um die besten Aufträge ergatterten auch die Deutschen begehrte irakische Zuschläge. 1987 lieferte Sigma Chemie die Giftstoffe T-2-Toxin und HT-2-Toxin an das deutsche Unternehmen Plato Kühn, das anschließend die Gifte in den Irak exportierte, wie das im kalifornischen Monterey angesiedelte Center of Nonproliferation minutiös dokumentiert. Als ob es fürchten musste, im internationalen Lieferanten-Wettlauf den Anschluss zu verlieren, sendete auch das französische Pasteur Institut Bazillen an den Tigris. Die Briten schließlich setzten im Kampf um die Gunst des Diktators dem Ganzen die Krone auf: 1988 ließen sie ihre militärische Forschungseinrichtung in Porton Down Erreger-Päckchen für den Irak zusammenstellen.

Deutschland an vorderster Stelle dabei

„Die USA haben den Irak beim Aufbau der Massenvernichtungswaffen nicht direkt unterstützt, aber sehr wohl durch die Lieferung bestimmter Stämme dazu beigetragen“, erklärt heute Raymond A. Zilinskas, Direktor des Chemical and Biological Weapons Nonproliferation Program am Center for Nonproliferation Studies/ Monterey Institute of International Studies, und nennt die eigentlichen Aufbauhelfer der irakischen Waffenprogramme beim Namen: „Deutsche Unternehmen hingegen waren direkt am Aufbau der chemischen und biologischen Anlagen im Irak beteiligt“.

Zahlen untermauern Zilinskas Aussage. Allein zwischen 1982 und 1986 erhielt der Irak aus der Bundesrepublik Waffen im Wert von 625 Millionen US-Dollar und war damit viertgrößter Importeur bundesdeutscher Rüstungsgüter. Regierungskreise verdächtigten damals etwa 170 Firmen, unter Umgehung des Außenwirtschaftsgesetzes Rüstungsgüter oder Know-how nach Irak geliefert zu haben, wie die FR seinerzeit dokumentierte – nur gegen 25 wurde staatsanwaltlich ermittelt, lediglich ein paar gelangten ins Licht der Öffentlichkeit:

  1. Für die Lieferung von Chemieanlagen machten die Staatsanwälte drei Unternehmen verantwortlich: Karl Kolb und Pilot Plant aus Darmstadt sowie die Hamburger Firma W.E.T. (Water Engineering Trading).

  2. Die Firma H+H Metalform in Drensteinfurt rüstete von 1988 bis 1990 den Irak mit 27 000 Einzelteilen und Maschinen zur Fertigung von SCUD-Raketen im Gesamtwert von 46 Millionen Mark auf.

  3. 1995 stießen die Waffeninspekteure der Uno auf 147 Kisten mit geheimen Rüstungsplänen zur Urananreicherung mittels sogenannter Gasultrazentrifugen (GUZ) für den Bau von Atombomben. Die Konstruktionszeichnungen stammten von der Firma MAN-Technologie, wie der SPIEGEL berichtete.

Wofür der Irak die Technik benötigte, war vielen Geschäftsmännern egal, so auch zwei leitenden Managern der Firma Leico in Ahlen. Sie hatten zwischen 1988 und 1991 über Leico Werkzeuge für den Bau von SCUD-B Raketen geliefert – und auf die mögliche zivile Nutzung der Exporte hingewiesen. Die Wirtschaftskammer am Landgericht Münster sah das anders und verurteilte sie zu Geldstrafen von jeweils 30.000 und 7.000 Mark wegen Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz.

Für irakische Leukämie-Kinder wie Ali Asyian ein schwacher Trost. Das Bezugsverbot von dual-use Gütern im medizinischen Bereich nach den schlechten Erfahrungen der Vergangenheit raubt heute Ali die Chance auf eine Therapie – Ali Asyian wird sterben. Trotz Victory-Zeichen und entschlossenem Blick in die Kamera des britischen „Economist“-Fotografen ist der kleine Junge aus Bagdad, stellvertretend für viele andere Betroffene, der Verlierer im Spiel des Westens um die Waffenmillionen Saddam Husseins.

Der Artikel erschien erstmals im September 2002 in dieser Fassung bei LifeGen.de. Wir haben die Inhalte bewusst nicht aktualisiert, um eine historisch korrekte Dokumentation zu ermöglichen

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