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Deutschland: Pflege Bordsteinkante


Meine 90-jährige Schwiegermutter sollte am Montag aus einem Pflegeheim in Nordhausen in ihren Heimatort entlassen werden. Weil DAK, Pflegeheim und der Hausarzt blockten, kam kein Krankentransport zustande. Dafür kollabierte sie im Auto einer Verwandten, die sie aus dem Heim nach Hause fuhr.


Vlad Georgescu kommentiert.





Schwester Senta war zu Zeiten der DDR Oberschwester in einem Thüringer Landambulatorium. Jahrzehntelang kümmerte sie sich um Kranke – mit 89 Jahren aber, nunmehr in der Bundesrepublik verortet, brach sich Schwester Senta kurz vor Weihnachten 2023 das Sprunggelenk. Was folgte, war das übliche Prozedere: OP mit anschließender Kurzzeitpflege in einem Pflegeheim. Hierfür übernahm ihre Krankenversicherung, die DAK, die Kosten.

Am Montag dieser Woche aber war Schluss mit der Fürsorge. Schwester Senta, nicht gehfähig, schwer an Diabetes erkrankt und ohnehin an den Rollstuhl gefesselt, sollte entlassen werden. Und – wie auch immer – nach Hause kommen. Nach Hause bedeutet eine Fahrt ins 39 Kilometer entfernte Greußen. 37 Minuten mit dem Auto. B4.

Auf Anfrage erfuhr die Tochter, die zwei Stunden vom Heimatort der Mutter entfernt wohnt, dass für den Rücktransport, im Sprechdeutsch der Bürokratie „Transport in die Häuslichkeit“ genannt, die Patientin oder die Angehörigen zuständig wären. Ein dem gesundheitlichen Zustand der alten Dame entsprechender Rollstuhl-Transporter schlüge mit 400 Euro für rund 40 Kilometer zu Buche – eine „reine Privatleistung“ wie der Tochter sowohl von der Pflegeheimverwaltung als auch von der Sprechstundenhilfe der behandelnden Ärztin und vom DAK-Callcenter versichert wurde. Darüber hinaus wäre ein Taxiunternehmen nicht verpflichtet, die Patientin ins Haus zu begleiten. Auch dies müsse sie selbst organisieren und bezahlen – eine Überführung des Patienten von A nach B wäre „bis Bordsteinkante“ abgegolten, zur Hilfestellung wäre kein Taxiunternehmen verpflichtet. Auf die Frage, welches Gesetz des Sozialgesetzbuches dies alles regele, lautete die Antwort des DAK-Mitarbeiters: keines. Die Tochter solle auf einen schriftlichen Bescheid per Fax warten. Sie wartet bis heute.

Nun ist die Tochter nicht irgendeine überbesorgte Verwandte, die man telefonisch abwimmeln oder mit lapidaren Behauptungen abspeisen kann. Sie ist Journalistin und Bestsellerautorin. Und sie verfasste unter anderem das Sachbuch Die Gesundheitsmafia, in dem sie bereits 2005 Politik und Medien auf die Missstände im Gesundheitswesen aufmerksam machte.

Also stellte Marita Vollborn nicht mehr als Tochter, sondern als Mitgründerin unseres gemeinsamen Büros die Fragen an die Pressestelle der DAK mit der Bitte um schriftliche, zitierfähige Auskunft. Eine Antwort erfolgte bis heute nicht.

Dramatisch an diesem Fall, der vermutlich exemplarisch für Tausende andere Fälle steht, ist jedoch: Kein Gesetz verbietet es einem Arzt, einen Transportschein für Patienten auszustellen, sofern es medizinisch angebracht ist. Und kein Gesetz erlaubt es der DAK, die Kosten für einen solchen Transport zu verweigern.

Dennoch scheuen Ärzte diesen Weg – weil er unter Umständen Plausibilitätsprüfungen nach sich zieht. Was bedeutet: Würde in der jeweiligen Praxis bei den Abrechnungen betrogen, flöge das spätestens bei den Plausibilitätsprüfungen auf.

Dass Pflegekassen wie die DAK wiederum ihre pflegebedürftigen Versicherten nach der Kurzzeitpflege „ab Bordsteinkante“ Pflegeheim stehen lassen, erscheint ebenfalls – aus Sicht der Kassen – logisch: Sie sparen Geld. Denn am Ende fahren Verwandte oder Freunde die Betagten nach Hause. Die Kasse verbucht keine Ausgabe.

Im Falle von Schwester Senta hätte die DAK fast die ultimative Ersparnis erlangt. Denn bei Kilometer 28 kollabierte die schwerkranke Frau. Weil ihre Verwandte zufällig Physiotherapeutin ist, endete der privat organisierte Transport glimpflich.

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