So manches Virus profitiert von sich ändernden Umweltbedingungen. Ein eindrückliches Beispiel hierfür ist Ebola.
von Marita Vollborn
Dass wir – die Europäer – mit unserem Ernährungsverhalten mitverantwortlich für den Ebola-Ausbruch in Westafrika im Jahr 2014 sind, wird selten kommuniziert. Im Prinzip trieb so manches Fischmenü, so manche gegrillte Hühnerbrust auf unseren Tischen die Einheimischen in den Urwald, wo sie das Verhängnis erwartete.
Weil die meisten europäischen Meere hoffnungslos überfischt sind, haben sich Fischereikonzerne umorientiert und lassen ihre überdimensionierten, hochgerüsteten Flotten die westafrikanischen Küstengewässer durchkämmen. Das spiegelt sich in den Zahlen wider. Während 1950 noch rund 600.000 Tonnen Fisch gefangen wurden, kletterte die Quote um das Jahr 2000 bereits auf 4,5 Millionen Tonnen.[1] Nur: Die traditionelle Eiweissquelle in der westafrikanischen Ernährung ist der Fisch. Der Raubzug der Europäer führte dazu, dass die Einheimischen mit ihrer bescheidenen Ausrüstung immer weniger Fische fingen.
Gleichzeitig hatte ab den 1990er Jahren die ausländische Fleischindustrie die schwachen afrikanischen Märkte für sich entdeckt. Ein Grund hierfür war, dass die Konsumenten in den westlichen Ländern von Hühnern die Brustfilets bevorzugen - Hälse, Flügel und restlichen Schlachtkörper aber verschmähen. In Afrika kann die Bevölkerung dagegen weniger wählerisch sein. Hinzu kommt, dass die mit Steuermilliarden finanzierte Intensivlandwirtschaft auf Überproduktion und Export getrimmt ist. Afrika ist inzwischen zum wichtigsten Exportmarkt für europäische Geflügelfleischreste geworden; zehn Prozent stammen allein aus Deutschland. Das hat fatale Folgen für die Bevölkerung vor Ort. Denn die kleinbäuerlichen Geflügelzüchter können mit den Dumpingpreisen nicht mithalten und geben reihenweise auf. Das verschärft das Armutsproblem – und wer kein Geld hat, kann nicht einkaufen. Zusätzlich hat das Importfleisch in manchen Ländern ein Imageproblem, weil es tiefgekühlt ist. Während die Bevölkerung Ghanas inzwischen an das Fleisch aus dem Tiefkühlschrank gewöhnt ist, misstrauen die Menschen beispielsweise im Kongo TK-Ware. Sie beklagen, dass sie weder Auskunft über die Art der Aufzucht der Tiere noch über die der Schlachtung bekommen, heisst es in einer vom deutschen Landwirtschaftsministerium herausgegebenen Marktstudie über die Möglichkeiten des Fleischexports in den Kongo von 2019.[2]
Obwohl das Fleisch aus der westlichen Intensivlandwirtschaft den Preis des vor Ort produzierten oft um die Hälfte unterbietet, flohen viele Westafrikaner nach Osten, tiefer in die Regenwälder hinein. Schliesslich gibt es dort Buschfleisch nicht nur billig, sondern praktisch umsonst. Auch Geschmack, Tradition und Ernährungsgewohnheiten verleiten die Menschen, im Urwald auf Jagd zu gehen. Meist werden kleine Halbaffen erbeutet, Fledermäuse und Flughunde – genau jene Tiere also, von denen das Ebolavirus übertragen wird.
Wo immer der „moderne“ Mensch in die Lebensräume von Tieren eindringt, tritt er in aller Regel als Barbar auf. So vernichtet er pro Jahr allein in Brasilien 2,6 Millionen Hektar Wälder und Naturflächen u.a. für den Sojaanbau. Dies ist unserem unstillbaren Appetit auf Fleisch zuzuschreiben: Etwa 80 Prozent der Sojaernte dient der Fütterung von Geflügel, Schweinen und Rindern in Europa und China.[3] Die Waldflächen überall auf der Erde sind bedroht, nicht nur in Südamerika. Kaum eine Zeitung, kaum ein Mitglied einer grünen Partei klagt die grossflächigen Rodungen in Kanada oder in den Karpaten an – wenn es um enge Verbündete oder Mitglieder der Europäischen Union geht, sind Journalisten und Politiker mit Blindheit geschlagen. Allein von den 545 Millionen Hektar borealen Urwaldes in Nordamerika werden jährlich 700.000 Hektar gefällt, vor allem in den Provinzen Quebec und Ontario. Und direkt vor unserer Haustür holzt allen anderen Konzernen voran die österreichische Holzindustrie Schweighofer Gruppe (ab 2020 Umbenennung in HS Timber Group) die Karpaten mit den letzten europäischen Urwäldern ab. 40 Baumstämme pro Minute werden verarbeitet, 2.400 in einer Stunde, 28.800 in einer Schicht. Zwischen 2001 und 2017 hat der Kahlschlag insgesamt 317.000 Hektar Wald gefordert – das sind 444.000 Fussballfelder.[4]
Dies sind nur einige wenige Beispiele. Das gesamte Ausmass ist kaum vorstellbar: Jedes Jahr verschwindet eine Waldfläche in der Größe Griechenlands von der Erdoberfläche.
Nicht nur, dass mit dem Niedergang der Wälder eine wirksame Waffe im Kampf gegen den Klimawandel stumpf wird. Schliesslich sind sie potente Kohlenstoffspeicher und regeln Verdunstung, Wasserkreislauf und damit das Wetter.[5]
Dem „Deforestion Fronts“ Bericht des WWF zufolge werden 80 Prozent der globalen Entwaldung bis 2030 stattfinden. Sollte der Trend nicht aufgehalten werden, droht der Erde ein Verlust von 170 Millionen Hektar Wald – eine Fläche so gross wie Frankreich, Spanien, Portugal und Deutschland zusammen.
Das Sterben der Wälder setzt einen Teufelskreis in Gang. Letztlich wird es noch heisser, noch trockener, Extremwetterereignisse nehmen zu, weitere Waldflächen werden Sturmopfer, Trockengebiete und Wüsten breiten sich aus. Neben den Rodungen sind es noch andere Eingriffe des Menschen, die Ökosysteme schädigen. Er zerschneidet Lebensräume, indem er Straßen, Industrieanlagen und Häuser baut, betreibt Bergbau, fördert Öl, Gas und weitere Bodenschätze, verschmutzt Gewässer und Luft, legt Moore trocken und begradigt Flüsse, legt Monokulturen an, entwässert oder überflutet Land und reist viel. Durch sein Tun verlieren Arten ihre angestammten Lebensräume, gehen zugrunde oder müssen umsiedeln und konkurrieren dann mit den angestammten Arten. Manche von ihnen besetzen frei gewordene ökologische Nischen und vermehren sich rapide – und mit ihnen bestimmte Krankheitserreger. Durch die Mobilität des Menschen und seine einschneidenden Aktivitäten ergeben sich neue Übertragungsmöglichkeiten für Krankheitserreger: Tiere, die nie miteinander in Kontakt kamen, treffen aufeinander; es kommt zu Tier-Mensch-Begegnungen, die zuvor undenkbar gewesen waren.
[1] Umweltrat https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2008_2012/2011_11_Stellung_16_Fischbestaende.pdf?__blob=publicationFile&v=7 [2] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Deutschland, https://www.agrarexportfoerderung.de/fileadmin/SITE_MASTER/content/files/Laenderberichte2019/Marktstudie_Fleisch_Rep._Kongo_Endfassung.pdf [3] GEO https://www.geo.de/natur/oekologie/3333-rtkl-lebensmittelproduktion-umweltzerstoerung-plantage-statt-regenwald [4] Global Forest Watch https://www.addendum.org/holzmafia/wald-rumaenien/ [5] WWF https://www.wwf.de/themen-projekte/waelder/wald-und-klima/waelder-und-klimaschutz