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Leitender Virologe kritisierte industrielle Tierhaltung der EU schon 2011

Über die aktuelle Ehec-Lage sprach der damalige Direktor des in Mittelhäusern bei Bern ansässigen Instituts für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe (IVI), Dr. Christian Griot, bereits im Juni 2011 mit LifeGen.de. Griot galt nicht nur damals innerhalb der internationalen Virusforschergemeinde als Schwergewicht: Das Institut für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe (IVI) ist das Schweizer Referenzlabor für Diagnose, Überwachung und Kontrolle hochansteckender Tierseuchen, wie Geflügelpest (Vogelgrippe), Maul- und Klauenseuche und Klassische Schweinepest. Das IVI untersucht die Entstehung neuer Krankheiten beim Tier und deren Potenzial für die Übertragung auf den Menschen. Es ist Zulassungsstelle für Impfstoffe und Seren für Tiere. Fazit des international anerkannten Virologen und Leiters des Instituts: Der sorglose Einsatz von Antibiotika und eine fragwürdige industrielle Tierhaltung in der EU trugen womöglich zur Entstehung und Ausbreitung der Seuche bei. Wir drucken das Interview angesichts der aktuellen Covid-19 Pandemie erneut ab.

LifeGen.de: Herr Dr. Griot, gibt es Indizien, die auf einen Agro/Bioterroristischen Ehec-Anschlag hindeuten?

Griot: Nein, es gibt keine Hinweise, dass es sich um einen Agro- oder Bioterroranschlag handelt. Ich gehe jedoch davon aus, dass man zumindest im Laufe des Ausbruchs diese Möglichkeit evaluiert hat. Dass man das nicht in der breiten Öffentlichkeit diskutierte erscheint mir verständlich, denn es hätte einfach noch viel mehr Verunsicherung hervorgerufen.

LifeGen.de: Wir waren da eher skeptisch. Kann ein Erreger wie E.coli zeitgleich an mehreren Stellen der EU die gleiche Mutation aufweisen?

Griot: Das ist sicher nicht auszuschließen, aber ich denke, dass erst die jetzt einsetzende Aufarbeitung eine Aussage dazu erlauben wird.

LifeGen.de: Welche natürliche Erklärung wäre für die Verbreitung eines neuen Stamms von E.coli denkbar?

Griot: Der Handel mit kontaminierten Produkten hat einmal mehr deutlich aufgezeigt, wie schnell sich eine Infektion von einem Ort ausbreiten kann. Das ist nicht nur beim jetzigen Ehec-Ausbruch der Fall gewesen. Denken wir an die Ausbreitung von SARS im Jahr 2003, als das Virus innerhalb kurzer zeit von einem Kontinent zum anderen verbreitet wurde – und zahlreiche Todesfälle verursachte.

LifeGen.de: Die beobachteten Antibiotikaresistenzen müssten, so jedenfalls Diskussionen unter Experten, durch gezielte Tierfütterungen ausgelöst worden sein. Gibt es Hinweise auf die Entstehung des neuen Stamms infolge einer zu industriell betriebenen Landwirtschaft?

Griot: Der übermässige Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft hat sicher mit zur Entstehung von Resistenzen und Mutationen geführt. Es zeigt sich, dass die industrielle Tierhaltung – im Stil wie sie in der EU gehandhabt wird – auf Kosten der Gesundheit von Tier und Mensch negative Folgen haben kann. In der Schweiz, wo Tierärzte einen sorgsamen und gezielten Umgang mit Antibiotika pflegen, scheint mir die Gefahr der Entstehung einer solchen Epidemie eher klein zu sein.

LifeGen.de: In Deutschland existieren zwar Pläne des Bevölkerungsschutzes, die bei biologischen Bedrohungen eine rasche und koordinierte Identifizierung der Gefahrenquellen ermöglichen – sie kamen aber nicht zum Einsatz. Was könnte Deutschland von der Schweiz in Sachen Seuchenschutz lernen?

Griot: Bei solchen Ausbrüchen, die ja unvorhergesehen kommen, müssen immer zunächst die Kompetenzen abgesteckt werden. Auch in der Schweiz, wo ein hoher Grad von Föderalismus besteht, wäre das Ergebnis nicht unbedingt besser abgelaufen. Was mich jedoch extrem gestört hat war, wie sich die Medien auf Grund eines eher mageren Hinweises zunächst auf die Gurken aus Spanien, dann auf ein Restaurant in Lübeck und schließlich auf die Sojasprossen gestürzt haben. Der Schaden für die Produzenten war nicht nur in der EU spürbar, sondern auch in der Schweiz, wo zeitweise 50 Prozent weniger Gurken verkauft worden sind. Deshalb unterstützte ich auch die Forderungen der Gemüsebauern, dass der Staat bis zu einem gewissen Grad die Ausfälle entschädigt.

LifeGen.de: Ihre persönliche Meinung zu Ehec: Unfall? Zufall? Terrorfall?

Griot: Ehec ist ein Ereignis das uns wieder wachrütteln soll – und das uns bewusst macht, dass der Konsum von gesunden Lebensmitteln ein schützenswertes Gut ist. Das gilt nicht nur für die Produzenten, sondern auch für die Konsumenten. Denn das billigste Produkt ist nicht immer das beste.

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